KAISER WILHELM CENTER
Kunst raus, Kommerz rein.
Im Kaiser-Wilhelm-Museum entstehen bis Herbst 2011 100 Geschäfte.
KONZEPT
2009: Das Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum: Zankapfel der Krefelder Lokal- und Kulturpolitik. Wegen fehlender Mittel für einen nötigen Umbau von Schließung bedroht, geriet das Museum in die Schlagzeilen, als der Stadtrat vorschlug, zur Finanzierung ein Gemälde von Monet zu veräußern.
Vom Kaiser-Wilhelm-Museum eingeladen, sich an der Ausstellung “Quergeschnitten” zu beteiligen, beschloss sputnic eine zweiteilige Arbeit zu produzieren: im Vorfeld eine ortsbezogene künstlerische Intervention und für die Ausstellung eine dazugehörige Videoinstallation.
Im Rahmen des Projektes entstanden zwei Corporate Identities, zwei Websites, mehrere Architekturvisualisierungen, ein Leporello und eine Videoinstallation mit über 9 Stunden Film.
Die Stadt behält sich vor, Anzeige wegen Betrugs zu stellen.
1. DIE REALINSZENIERUNG
DAS ANSCHREIBEN
Am 15. August 2009, zwei Wochen vor der Kommunalwahl, erreicht ein Schreiben von wostok international die Amtsmitglieder, die Industrie- und Handelskammer sowie die regionale Presse. Das Anschreiben informiert über das ambitionierte Projekt Kaiser Wilhelm Center (KWC) und wirbt gleichzeitig um potenzielle Investoren und zukünftige Nutzer des Objekts:
Sehr geehrte Damen und Herren
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, um mit uns einen Blick in die Zukunft zu wagen! Stellen Sie sich einen lebendigen und modernen Einzelhandelstandort vor.
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Mitten im Herzen Krefelds reanimiert ein innovativer und exklusiver Marktplatz den Westwall als pulsierende Lebensader der Stadt. Ein Publikumsmagnet, der nicht nur zu einer Aufwertung der Innenstadt, sondern gleichzeitig zur Belebung der gesamten Infrastruktur beiträgt. Diese Vision kann schon bald Wirklichkeit werden.
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Nach sorgfältiger Analyse haben wir ein Konzept für eine erfolgreiche Nutzung des Standorts Westwall, Ecke Marktstraße (zur Zeit Kaiser Wilhelm Museum) als exklusives Einkaufszentrum entwickelt. Unter dem Arbeitstitel „Kaiser-Wilhelm-Center“, kurz: KWC, soll hier auf ca. 6000 m² eine hochwertige Einkaufsoase mit mehr als 100 Einzelhandels-, Gastronomie- und Veranstaltungsflächen entstehen.
…
Wir haben auf kommunaler und überregionaler Ebene bereits wichtige Partner für unser Projekt gewonnen. Projekte entwickeln sich im Dialog: Mit diesem Schreiben möchten wir Sie in den konstruktiven Austausch einbeziehen.
Wostok Int.
Zusammen mit dem Schreiben wurde eine Hochglanz-Brochüre verschickt, die wieder um auf eine Projektwebsite verwies. Auch die Firma Wostok Int. selber hatte eine dubiose Internetpräsenz. Da die Domains über eine Düsseldorfer Agentur gekauft wurden, waren keine Rückschlüsse auf das Krefelder Künstlerkollektiv möglich.
REAKTIONEN
Das Schreiben sorgt für Irritationen und Gerüchte: Im Rathaus und in Teilen der Politik herrscht Aufregung über undurchsichtige potenzielle Betrüger aus Osteuropa. Bereits am nächsten Tag berichtet die RP auf der Titelseite über das mysteriöse Projekt: „Die Stadt behält sich vor, Anzeige wegen Betrugs zu stellen„. Ein Sturm der Entrüstung zieht über die Stadt und die Suche nach den Tätern beginnt. Ein eingerichteter Anrufbeantworter zeichnet wütende Politiker und interessierte Investoren auf – andere wurden gesichtet, wie sie versuchten, an der angegebenen Adresse Informationen zum Unternehmen herauszubekommen.
Am 17. August enthüllt schließlich Christoph Ellis von der Westdeutschen Zeitung durch investigativen Journalismus: „Hinter der Aktion steckt die Künstlergruppe sputnic, der Plan und auch die Firma Wostok sind pure Fiktion.“ (WZ, 17. August).
Das KWC und damit auch die Ausstellung “Quergeschnitten” ist nun Stadtgespräch, eine lebhafte Diskussion über die Nutzung des Kaiser Wilhelm Museums, aber auch über die Freiheit und Wert von Kunst und Kultur entbrennt.
Hinter der Freiheit der Kunst steht ohne Frage ein großes Ausrufezeichen. Ich halte diese Aktion aber für unglücklich in einer Zeit, in der ohnehin viel über die Sanierung des KWM gesprochen wird.
II. DIE VIDEOINSTALLATION
Der Gruppe sputnic ist allerdings nicht nur eine subversive Aktion gelungen, sondern auch eine höchst sehenswerte Videoarbeit, die allein schon den Besuch (der Ausstellung) lohnt.
Den zweiten Teil der Arbeit bekam der Besucher der Ausstellung “Quergeschnitten” im Kaiser Wilhelm Museum zu sehen: Ein Versatzstück aus einem Überwachungsraum mit neun Monitoren, die begonnene Geschichte wird nun weitererzählt:
Wir befinden uns in einer nicht all zu fernen Zukunft. Das Kaiser Wilhem Center hat längst wieder Konkurs gemacht, das Objekt steht leer, nur ein Wachmann dreht noch einsam seine Runden, zwischen den verwaisten Schaufenstern und Ladenlokalen. Dort beginnt er ganz für sich und für die Überwachungskameras ein neues Kunstwerk aus Papierbahnen. Die Kunst kehrt in das ehemalige Museum zurück. Allerdings für Besucher unsichtbar.
Auf seinen Gängen durch die leeren Säle des einstigen Museums zieht er mit weißen Papierbahnen Markierungen über die Böden. Auf Monitoren sehen wir, wie in dieser verlassenen Situation eine abstrakte, konstruktive Bildsprache entsteht, die den Wachmann zum Künstler werden lässt. Dort, wo niemand mehr hinschaut, jenseits des Publikums und jedwedem öffentlichen Interesse, in Zeiten der sinnlichen Verödung, wuchert die visuelle Kultur, wie sie durch das 20. Jahrhundert geprägt wurde, gewissermaßen im Untergrund. Eine Fiktion, die vom Schlimmsten ausgeht, um dann die vermeintlich trostlose Situation mit melancholischem Charme anzureichen.
Thomas Janzen (Aus dem Katalog zur Ausstellung)
CREDITS
Konzept & Umsetzung sputnic
Darsteller Thorbjörn Fröher
Kurator Thomas Janzen
Museumsdirektor Dr. Martin Hentschel