sputnic - visual artsAugust 7th, 2019 LIVE ANIMATION CINEMA

METROPOLIS

Basierend auf dem Roman von Thea von Harbou und dem Film von Fritz Lang Schauspiel Essen, 2018

sputnic erzählen die Geschichte um die krankende Gesellschaft und den Maschinenmenschen Futura, als live animerten Trickfilm, in einer neuen Version, die die Thesen des Werkes von 1927 mit aktuellen technischen Entwicklungen, gesellschaftlichen Ängsten und Fragen variiert und die die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Filmklassikers miteinschließt.

Eine Liebeserklärung an das „alte“ Kino und zugleich ein neues, theatrales Kinoformat, entstehend aus dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine auf der Bühne.

METROPOLIS & LIVE ANIMATION

„Metropolis“ ist ein Klassiker des späten Stummfilms, gedreht in einer kreativen Hochphase des jungen Mediums Film. Im Medium Film und im Kino als seinem Ort schneiden sich auch die Themen des Films. Einerseits ist das Kino ein Ort der neuen Massenkultur, billiger, schneller und auch moralisch verrufener als die Säle der Theater und Opernhäuser. Andererseits ist das Kino, ist der Film ein Medium, in dem die Maschine den Menschen überlistet. Film funktioniert nur, weil unser Auge vor der Maschine kapituliert, weil die Traummaschine im Projektionsraum uns mit 24 Einzelbildern pro Sekunde austrickst, die uns eine fließende Bewegung vorgaukeln. Die Magie des Films entfaltet sich aus einer Schwachstelle des menschlichen Wahrnehmungsapparates heraus.

Geht sputnics Erzählung von „Metropolis“ einerseits in der Frage der Technologie viel weiter als Langs Film, so geht sie gleichzeitig im Medium quasi hinter diese zurück. Anstelle eines Films, der maschinell aufgezeichnet und maschinell wiedergegeben wird, operiert das Format des Live Animation Cinema quasi wie ein Live-Kino im Handbetrieb. Auf Overheadprojektoren, zwischen denen die Schauspielerinnen und Schauspieler hin- und herschalten können, werden transparente Platten mit Illustrationen aufgelegt, die bewegliche Elemente beinhalten und die von Hand animiert werden, während die dargestellten Figuren live synchronisiert werden. Wie z.B. industrielle Produktionsprozesse eine komplexe, präzise und Wiederholbare

Abfolge von Bewegungen des Menschen im Zusammenspiel mit den Maschinen fordern, so sieht man hier Schauspielerinnen und Schauspieler als lebendige Teile einer virtuosen Choreografie aus Animationsplatten, Schaltern, und Kabeln.
Auch real wird die Maschine zum Mitspieler auf der Bühne: der gesamte Soundtrack des Live Animation Cinema wird von einem Modularsynthesizer produziert. Dieser operiert völlig unabhängig von den Darstellerinnen und Darstellern, die zwar die Lautstärke der verschiedenen Soundspuren regeln können, jedoch produziert der Synthesizer ab dem Moment, an dem er am Stromnetz hängt autark immer weiter Klänge, deren Muster er nach einem Zufallsprinzip aufbaut.

Das Format des Live Animation Cinema legt die Materialität der Illusion stets offen und das nicht zufällig in einer Zeit, in der das Kino selbst seine Materialität verliert und im Sterben begriffen ist: Statt Filmstreifen liefern heute Datenströme die Bilder in die Säle, die sich zunehmend leeren, weil das Kino als Ort des gemeinschaftlichen Erlebens eines Films durch die neue Vereinzelung des heimischen oder mobilen netflix-Accounts abgelöst wird. So ist sputnics „Metropolis“ zugleich eine Liebeserklärung an das „alte“ Kino und ein neues, theatrales Kinoformat entstehend aus dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine auf der Bühne.

Florian Heller

PRESSE

Bricht mit allen Sehgewohnheiten...entwickelt einen Sog, dem sich keiner entziehen kann... Bilder wie im legendären Stummfilm...grandios besetzt...

...so archaisch stark, so utopisch, so naiv im positivsten Sinne, so analog scifi, so grafisch plakativ und so wunderbar neu!

FB Kommentar: Oliver Dentges

Hochinteressant und ein extrem unterhaltender Abend ... mit hochspannendem Ende.

Die phantastischsten Kino-Effekte zaubert dieser Abend mit den einfachsten Mitteln. Ein höchst unterhaltsamer Abend.

Ganz anders... Virtuose Darsteller... Alles drin, was ein guter Theaterabend braucht - und ein guter Film. Uneingeschränkt zu empfehlen.

...bricht immer wieder durch die Visualisierung, durch verschiedene Zeiten und Ebenen und durch die schriftstellerische Aneignung der Geschichte unsere Seh- und Hörgewohnheiten. Das ist ganz großes Kino

FB Kommentar: Nora Gummert Hauser

METROPOLIS 2.0

Wo „Metropolis“ 1926 noch danach fragt, was passiert, wenn Menschen andere Menschen durch Maschinen ersetzen, ist die Science Fiction – der realen technischen Entwicklung folgend – mittlerweile längst zur Frage vorgedrungen, ob es geschehen könnte, dass Maschinen ihren eigenen Willen entwickeln und nicht einzelne Menschen oder eine bestimmte Klasse von Menschen, sondern gleich alle Menschen ersetzen. Seit Frankensteins Monster ist die Vorstellung vom Geschöpf, das seinen Schöpfer vernichtet, kanonisch geworden und neben  rebellierenden Bordcomputer HAL in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ über die Maschinenkriege der „Terminator“-Filmreihe bis zur Versklavung des Menschen durch die Maschinen mittels einer komplett simulierten Realität in der „Matrix“-Trilogie eine dunkle Vorahnung durch die Science Fiction, dass der Fortschritt den Menschen überholen könnte. Heute, in Zeiten in denen Smartphones unseren Alltag managen,

Gegenstände in unseren Häusern über das „Internet der Dinge“ miteinander kommunizieren, die ganze Welt via Datenleitungen verbunden ist, und erst vor kurzem zwei künstliche Intelligenzen in Form von bot-Programmen von facebook Entwicklern abgeschaltet wurden, nachdem man festgestellt hatte, dass sie die Sprache, in der sie miteinander kommunizieren selbstständig verändert hatte, fragt sputnics Neuerzählung von „Metropolis“ folgerichtig danach, was geschehen könnte, wenn Futura nicht mehr dem Willen eines Mannes, sondern nur noch ihrem eigenen folgen würde. Hier zeigt sich auch ein weiterer Konflikt, der in „Metropolis“ verhandelt wird: der zwischen männlicher und weiblicher Führung. Während die Männer (allen voran Joh Fredersen) als klassisch patriarchale Autorität die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes top-down regieren, ist die Führung der Gegenseite in Gestalt Marias weiblich besetzt.

Männliche, technokratisch-rationale und vertikale Herrschaft und weibliche, empathisch-affektive und horizontale Führerschaft stehen sich gegenüber. Dass Maria aber außer von Harbous sentimentaler Kernthese vom Herz als Mittler zwischen Hirn und Händen keine wirkliche Alternative anzubieten hat, ist nur ein Teil des Problems. Denn Maria existiert ja in Gestalt ihrer Kopie Futura quasi zweimal. Während die eine zu Mäßigung aufruft und aus der Bibel predigt, stachelt die andere mittels Drogenund Sexualrausch zum gewalttätigen Aufstand an. Der alte männliche Blick dem die Frau entweder als Heilige oder als Hure erscheint, ist hier in zwei Varianten einer Person aufgespalten, gewürzt mit dem Detail, dass die „Maschinenfrau“ natürlich vor allem eines ist: gehorsam. Den Rausch entfesselt sie nur auf Befehl. Fast scheint es überflüssig zu erwähnen, dass die „falsche“ Maria am Ende des Films von den Arbeitern auf einem

Scheiterhaufen verbrannt wird, so offensichtlich ist die misogyne Komponente des plotts. Am Ende von Langs Film ist Marias Vision zwar einerseits Realität, Freder Fredersen ist der Mittler zwischen Herren und Arbeitern, doch manifestiert sich diese vorgeblich weibliche Vision als rein männlicher Handschlag zwischen einem Ingenieur und Joh Fredersen. So wie man heute anders nach der Rolle der Maschine fragt, muss man auch nach den gender-Implikationen der Erzählung fragen. Wie würde die Geschichte enden, würde die weibliche Seite tatsächlich triumphieren? Ist eine Utopie ohne Überwindung der männlichen Dominanz innerhalb des Gesellschaftssystems überhaupt denkbar? Und ist das Prinzip der entfesselten Maschine ein männliches oder ein weibliches?

Florian Heller

CREDITS

KONZEPT, BUCH, REGIE Nils Voges
PERFORMANCE/ANIMATION Alexey Ekimov, Kerstin Pohle, Sven Seeburg, Aless Wiesemann
ILLUSTRATIONEN Julia Zejn, Elena Minaeva
ANIMATIONPLATES DEPARTMENT Michael Dölle, Greta Stauch
BÜHNE Michael Konstantin Wolke
KOSTÜME Vanessa Rust
SOUNDINSTALLATION Holger Brandt
LIVE-TON Reinhard Dix
DRAMATURGIE Florian Heller

FOTOS Martin Kaufhold,
Michael Wolke, Nele Hauke, Bastian Rottinghaus